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Flimmerndes Licht
Katalog INDEX 10
Interview Elena Winkel / Galerie Conradi

Birgit Wudtke, Sie arbeiten mit technischen Verfahren der
Überblendung und wählen dafür klassische Motive der Fotografie
wie zum Beispiel das Portrait oder die Landschaftsdarstellung.
Welches künstlerische Interesse steht hinter diesen
Manipulationen?

Ich denke man muss heute nach mehr als zwanzig Jahren der
Digitalisierung von Photographie sehr spezifisch mit den
Begrifflichkeiten umgehen, um zu einer Deutung der Werke
zu gelangen. In meiner Arbeit gibt es u.a. die Überblendungen
von digitalen und digitalisierten Aufnahmen, die ich in Installationen auf
elektronischen Displays zeige; und es gibt die analog-photochemischen
Mehrfachbelichtungen. Die Arbeit „untouched touched“
(2009) zeigt Landschaftsaufnahmen, die ineinander
überblenden. Die Komposition führt zur Mitte (gegen die Regeln
des goldenen Schnitts) und so entsteht der Eindruck einer
meditativen - oder auch starren, hypnotischen - Reise durch
Atmosphären, durch scheinbar unberührte und berührte (Erd-) Oberflächen.
Jede Form von Monitor bewirkt einen starren Blick, der
nicht mehr wandert und auch nicht mehr aktiv fokussiert. Die
Simulation von Raum ist flach. Das digitale Signal nicht an Materie
gebunden. Damit müssen wir uns heute mehr beschäftigen.
Könnte man also sagen, diese Landschaftsaufnahmen verfolgen
einen wahrnehmungstheoretischen Ansatz, nämlich den
bewussten Umgang mit medial geprägten Realitätskonstruktionen
zu fördern?

Unsere Wahrnehmung hat sich offensichtlich verändert, weil
wir Bilder nicht mehr nur an das (Papier-) Material gebunden
betrachten, sondern hauptsächlich am Monitor. Die digitalisierte
Photographie nimmt kunsthistorisch einen komplett neuen
Stellenwert an: nämlich den einer (Computer-) Grafik. Unsere
Aufmerksamkeit hat sich ebenfalls verändert, durch die permanenten
Signale der verschiedenen Kommunikationstechnologien.
Ich weiß nicht, wie man heute noch die klassische
Landschafts- und Portraitphotographie betreiben soll, wie wir
sie etwa von Ansel Adams oder Diane Arbus kennen. Zu deren
Zeit gab es zudem kein Internet. Ich möchte keine (nostalgische)
Imitation von Photographie einer anderen Epoche betreiben
sondern suche Wege die Photographie parallel zu unserer Sprache
zu entwickeln, mit den ganz unterschiedlichen Mitteln,
die mir heute zur Verfügung stehen.
Während in den Landschaftsaufnahmen die Bilder konzentrisch
ineinander überblendet sind werden die Ergebnisse der
Mehrfachbelichtungen auf Polaroid darüber hinaus auch linear,
nebeneinander angeordnet. Die Bildstruktur ist wie aus
offenen Erzählsträngen angelegt.

Die Bildstruktur wird dabei bestimmt von einer Performance
die hier stattfindet. Ich habe das Glück mit meinen Lieblingskünstlern
innerhalb des Netzwerkes The BeetoBee Net bei unterschiedlichen
Projekten zusammenarbeiten zu können. Ganz
aktuell arbeiten wir u.a. an spontanen Inszenierungen die ich
als Mehrfachbelichtungen auf Polaroid aufnehme. Mehrfachbelichtungen
existieren nur in der analog-photochemischen
Photographie und sind vollkommen nutzlose Produkte die
zudem nicht kontrollierbar sind. Ganz im Gegensatz zu neuen
digitalen Programmierungen, die Bilder etwa als „HDR“
zusammensetzen. Diese Art der Werksprogrammierung soll
eine absolut kontrollierbare Datenmenge liefern und strebt
die High-End Produktion und Verwertung von Bildmaterial
an. Die Arbeit mit Mehrfachbelichtungen auf Polaroid ist
erstmal Unsinn und bringt als experimentelle Dokumentation
gemeinsamer Performance sehr viel Spaß. Wir fühlen uns lebendig
- plötzlich passiert ein bedeutsamer Moment und zwar
nicht nur vor Ort, sondern auch bei der Mehrfachbelichtung
auf Polaroid. Hier geht es um die Magie des Augenblicks und
chemischer Prozesse. Die Arbeit „Schattenspiel“ (2010) zeigt
eine lange, digitale Photocollage von mehreren Szenen, bei der
Personen hinter einem Stoff interagieren. Die einzelnen Szenen
sind für mich kleine bedeutsame Momente mit The BeetoBee
Net und wirken hier in Reihe angeordnet wie das Bruchstück
einer Zeitleiste. Das matte Licht dahinter (LED Folie) führt bei
der Installation des Bildes auf einer schwarzen Wand, im abgedunkelten
Raum bei einigen Betrachtern zu einer besonderen
dreidimensionalen Tiefenwirkung. Diese Arbeit experimentiert
mit dem feinen Grat zwischen Photographie und Grafik.
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